Berlin statt Bielefeld, Hamburg statt Holstein Kiel. Wo häufig graue Mäuse um den Klassenerhalt kämpften standen sich in den diesjährigen Relegationsspielen zwei echte Dinos gegenüber. Einmal mehr ging es um den heißbegehrten letzten Startplatz für die kommende Bundesliga-Saison. Frei nach dem Motto „The trend is your friend“ sprach dabei alles für den HSV. Dieser hatte mit einem sagenhaften Endspurt nicht nur Lokalrivalen St. Pauli eingeholt sondern sich auch den dritten Platz in der zweiten Bundesliga gesichert. Hertha hingegen war eigentlich schon durch, vergab dann aber unglücklich in den Spielen zuvor den sicher geglaubten Klassenerhalt.
Besondere Brisanz bekam das Spiel durch die Personalie Felix Magath, der als Trainer der alten Dame gegen seine alte Liebe aus Hamburg antreten musste. Unvergessen – nicht nur in der Hansestadt – ist sein Siegtor gegen Juventus Turin, mit dem er den HSV 1983 zum Europapokalsieger der Landesmeister schoss. Der Rahmen war entsprechend spektakulär: Ein ausverkauftes Olympiastadion an einem lauen Sommerabend und blau-weiß wohin man blickte. Während die Hamburger Fans voller Vorfreude waren und eine schöne Rauten-Choreographie zelebrierten, wirkten die Hertha-Frösche schon in der S-Bahn reserviert und wenig zuversichtlich. Wie ist es denn so in Heidenheim sei erkundigten sich einige vorsichtig. Es hatte etwas von einem letzten Gang.
Hopp oder Topp
Fast sehnsüchtig bettelte die Ostkurve mit dem Plakat „Relegation abschaffen“ um Erlösung. Zugleich verschrieb man sich einer eher destruktiven Vereinspolitik, indem man Präsident Gegenbauer und Investor Windhorst gleichzeitig vom Hof jagen wollte. Auch das Spiel bot wenig Niveau und war ein überaus nervöses Gebolze ohne viel Struktur. Erster Aufreger war eine längere Videobeweis-Unterbrechung, die die Stadionbesucher absolut ratlos zurückließ. Das Ergebnis war ein wegen Abseits (ein halbes Knie oder so) aberkanntes Tor für die Gastgeber. Statt der Relegation sollte man lieber den Videobeweis einstampfen, ist er doch wenig transparent und nur scheinbar gerecht.
In der zweiten Halbzeit gingen die Hanseaten just in dem Moment, als ich auf mein Handy starrte, durch eine schöne, wenn auch abgerutschte Flanke in Führung. Der Glückspilz nennt sich Ludovit Reis, der die wohl nicht nur im Profigeschäft seltene doppelte Staatsbürgerschaft niederländisch-slowakisch vorweisen kann. Die rund 20.000 Hamburger feierten und machten lauthals klar, auf Schule und Arbeit zu sch… und sieben Tage die Woche nur an den HSV zu denken. Dagegen bemühte sich der selbst ernannte „Big-City-Club“ sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen vergeblich um offensive Durchschlagskraft.
Ende gut, alles gut
Am Ende durften die Berliner froh sein, dass die Hamburger ihre Konter zu fahrig ausspielten und es beim 0-1 blieb. Bezeichnend auch, dass die Mannschaft sich nach dem Spiel nicht an Frank Zander hielt („Nur nach Hause geh’n wir nicht“) sondern stante pede ohne Gruß an die konsternierten Heimfans in den Katakomben verschwand. Dem konfusen Hertha-Abend setzte dann der Stadionsprecher die Krone auf, als er allen Zuschauern empfahl, das „Stadion links herum zu verlassen“ und einen Spaziergang zum Theodeor-Heuss-Platz ans Herz legte, um dort die U 2 zu nehmen.
Es staunt der Laie, es wundert sich der Fachmann: Im Rückspiel vier Tage später zeigte die Hertha dann alles, was sie in Berlin vermissen ließ: Biss, Leidenschaft und präzises Spiel. Ein 2-0-Sieg im Hamburger Volkspark sorgte dann doch noch für den Klassenerhalt. Eine Reise nach Heidenheim bleibt der Berliner Hertha damit vorerst erspart.
HERTHA BSC vs. HAMBURGER SV (0-1)
Olympiastadion Berlin, 75.500 Zuschauer
Bundesliga / 2. Bundesliga
Relegation, 19.05.2022, 20.30 Uhr
Torschütze:
0-1 Ludovit Reis (57.)
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