Der FC-Fan im Sommer 2019. Mal wieder ist man aufgestiegen (ja, man selbst, nicht nur der FC). Und mal wieder weiß der Fan nicht so recht, wohin die Reise seines glorreichen 1. FC Köln mit seinen interessanten Neuverpflichtungen gehen wird. Abstiegskampf? Souveräne Saison im Mittelfeld? Überraschungsmannschaft der Saison mit Chancen auf die Europaleage? Die Gefühlslagen der Fans gehen von selbstbewusst über vorsichtig optimistisch bis hin zur Angst vor dem Abstiegskampf. Das Fußball 90 Minuten echte Gefühle bedeutet, ist jedem wahren Fan bekannt. Doch warum ist diesmal ganz bestimmt Optimismus angesagt oder ist doch – wie so oft – die Abstiegsangst das realistische Szenario? BENANZA ONLINE fasst die wichtigsten Ängste und Hoffnungen der Fans zusammen, noch bevor die erste Pille rollt. Zunächst hat der Pessimist das Wort (Teil I), bevor der Optimist ihn eines besseren belehren wird (Teil II).
Teil I: Die Angst der FC-Fans
Angst? FC-Fans und Angst? Der Kölner gilt doch als hoffnungsloser Optimist, der nach zwei Siegen schon die Jagd auf die Championsleage-Plätze ausruft. Dieses Klischee ist jedoch nur genau eben das: ein Klischee. Tatsächlich haben die letzten 20 Jahre die FC-Fans wiederholt übel auf den Boden der Tatsachen geschmettert, sodass unter den Fans verbreitet Realismus herrscht. Sehr gut zeigte sich das daran, dass nach dem jüngsten Aufstieg keinerlei Euphorie zu spüren war unter den Fans. Denn die teils grottigen Leistungen im Unterhaus, die nur durch die individuelle Klasse der Kölner Offensive kompensiert wurden, haben den Fans Angst und Bange gemacht. Jeder wusste: So gibt das nichts in der ersten Liga. Mit dieser desaströsen Defensive gibt es dort nur eins: Prügel.
So war die – trotz Tabellenführung – kritische Atmosphäre unter den Fans schon während der noch laufenden Zweitligasaison nicht etwa einer übertriebenen Erwartungshaltung geschuldet. Der abstiegserfahrene FC-Fan hat vielmehr schon sorgenvoll an morgen gedacht und gewusst: Hier läuft etwas grundlegend falsch in der Mannschaft. Fehlendes Spielsystem, fehlende individuelle Qualität auf einzelnen Positionen, kein Teamgeist – drei Dinge, die den FC-Fan sorgenvoll Richtung Erste Liga blicken ließen. Entgegen landläufiger Meinungen hat der FC-Fan sie also doch: Die Angst. Die Sorge. Das ungute Gefühl, es könnte wieder nicht reichen.
Angst 1: Der Spielplan
Mannomann. Den FC hat es heftig erwischt. Die Strategen der DFL haben den Kölnern mit Wolfsburg, Dortmund, Gladbach, Bayern und einem Auswärtsspiel im Breisgau – wo es seit 20 Jahren auch meistens Haue gab – ein heftiges Auftaktprogramm verpasst. Während der BVB und die Bayern bei der DFL regelmäßig ihre Terminwünsche mit Blick auf ihre Europapokalspiele mit Grußkarte hinterlegen, haben die Stoßgebete der Kölner Verantwortlichen für einen ausgeglichenen Spielplan offensichtlich den Kölner Dom nie verlassen.
Erst Wolfsburg auswärts, dann Dortmund zuhause
Im Einzelnen: Wolfsburg zum Auftakt ist echt mies. Auch noch auswärts. Beim VW-Club hat der FC ohnehin lange nicht gewonnen und dann haben sich die heißblütigen Niedersachsen letzte Saison auch noch mit starken Leistungen zurückgemeldet. Bruno ist zwar weg, dafür läuft vorne ein gewisser Weghorst rum, der weiß, wo das Tor steht. Ein Punkt wäre hier schon viel.
Dann endlich wieder ein Erstliga-Heimspiel. Und wer kommt? Der BVB. Vielen Dank auch. Wenn wenigstens Peter Stöger dort noch auf der Bank säße. Aber unter Monsieur Favre hat das Spiel der Schwarzgelben wieder Struktur und – vor allem – Geschwindigkeit. Und das ist ganz schlecht für die „agile“ Kölner Defensive, wie nicht zuletzt das Match in Southampton zeigte. Zu allem Überfluss stimmt in Dortmund aktuell auch die Form, fragt Joshua Kimmich. Alles andere als eine Kölner Niederlage wäre eine riesengroße Überraschung.
Freiburg, Gladbach, Bayern – Nicht gerade Lieblingsgegner
Zumindest auf dem Papier müsste dann im Breisgau was zu holen sein für den 1. FC Köln. In den letzten zwei Jahrzehnten machte es jedoch den Eindruck, der FC spiele dort immer bergauf. Die laufstarken Freiburger wecken jedenfalls keine guten Erinnerungen, es sei denn, man hält Toni Polster nicht für einen abgehalfterten Schlagerstar sondern erinnert sich an den Alpenbomber, der 1996 beim 3-1 Sieg im Breisgau für den FC traf.
Über den „Lieblingsgegner“ Gladbach und danach den FC Bayern müssen nicht viele Worte gemacht werden. Ein zweiter Sieg hintereinander gegen die Elf aus Ostholland ist ebenso wahrscheinlich, als wenn Günther Netzer ausgerechnet in einem Pokalendspiel der Ball 20 Meter vor dem Tor so über den Schlappen rutscht, dass er versehentlich genau im Winkel einschlägt. Und die Bayern sind selbst an einem guten Kölner Tag im Zweifel eins: Nämlich die Bayern. Null bis maximal drei Punkte aus den ersten fünf Spielen wären somit nicht unrealistisch aber nicht allein das Problem, wenn dies nach fünf Spielen nicht ziemlich sicher Platz 16 bis 18 bedeuten würde. Denn das bedeutet, dass eine alte Bekannte beim FC vorbeischaut: Die Abwärtsspirale. Die ist dummerweise auch per Du mit dem Personal im ehemaligen „Kölner Keller“ und sorgt dafür, dass es auch ohne Berührung und trotz Videobeweis Elfer gibt – gegen den FC. Da die Abwärtsspirale kommt, um zu bleiben, besorgen die Kölner und ihr instabiles Nervenkostüm den Rest dann selbstredend allein.
Angst 2: Die Defensive
47 Gegentore kassierte der Zweitligameister. Das sind so viele wie Erzgebirge Aue auf Platz 14. Und Magdeburg als Absteiger kassierte nur sechs Tore mehr. Bei der Analyse dieser schwachen Statistik herrscht insoweit Einigkeit, als dass es der Defensive an Dynamik und Schnelligkeit fehlte. Allein Jorge Meré konnte in der Rückrunde kontinuierlich überzeugen. Seinem Pendant Rafael Czichos gelangen zwar im Spielaufbau durchaus sehenswerte Diagonalbälle. Ihm (und anderen) fehlte es aber an eben jener Dynamik und Schnelligkeit, wenn der FC hoch stand und der Gegner mit langen Bällen agierte, wie beispielsweise beim 0-3 in Dresden.
Neues Personal für die Abwehr
Daher soll nun der 20jährige Sebastiaan Bornauw aus Anderlecht an der Seite von Meré für Stabilität sorgen. Trotz seiner stolzen 191 cm Körpergröße ist er angeblich schnell und dynamisch. Rechts soll Kingsley „Easy“ Ehizibue, der aus Zwolle kam, die Seite dicht machen. Was auffällt: Im 4-4-2 von Coach Beierlorzer steht mit Jonas Hector auf der Position des Linksverteidigers nur ein einziger erstligaerfahrener Profi in der Viererkette. Zwar hat Jorge Meré im Abstiegsjahr 22 Spiele absolviert, konnte in diesen jedoch kaum überzeugen. Beim jungen Bornauw bleibt abzuwarten, ob ihm auf Anhieb der Sprung gelingt, zumal das Talent beim Aufsteiger Köln mit dem Ziel Klassenerhalt eine andere Ausgangsposition erwartet als beim spielstarken belgischen Rekordmeister.
Und Easy? Der Mann, der schon im Trainingslager in Donaueschingen mit unglaublich guter Laune auffiel, muss sich erst noch beweisen, muss aber gleichzeitig einschlagen. Weder Benno Schmitz noch Matthias Bader entpuppten sich bislang als brauchbare Backups für die Dauerbaustelle auf der rechten Defensivseite. Überhaupt würden Verletzungen diese Defensive hart treffen: Ehizibue, Meré und – falls er sich durchsetzt – auch Bornauw könnten nicht adäquat ersetzt werden. Alles in Allem handelt es sich bei der Kölner Viererkette also um eine große Wundertüte, die gleichzeitig aber alternativlos ist, weil die Bank nicht einmal für Wunder genug Phantasie lässt.
Angst 3: Das Spielsystem
Er möchte aktiven Fußball sehen. Nein, er verspricht aktiven Fußball in jeder Phase des Spiels. In der Vorbereitungsspielen konnte man beobachten, was Beierlorzer unter aktivem Fußball versteht: Hohes, teils sehr hohes Attackieren des Gegners oder auch: pressen, pressen, pressen. So konnte man im Test gegen Villarreal Zeuge werden, wie drei Kölner den Gegner schon an dessen Sechszehner anliefen und im Spielaufbau störten. Diese Spielidee verspricht einen offensiven Fußball, der durch frühe Ballgewinne und schnelles Umschalten für ausreichend Torgefahr sorgen soll. Für einen Aufsteiger eine mutige Strategie, sind Aufsteiger doch in aller Regel zunächst um defensive Stabilität bemüht.
Wird der Mut zum Risiko betraft?
Wer Tore schießen möchte, braucht natürlich Mut, gleichzeitig mutet die Spielweise jedoch sehr ambitioniert an. Denn, was Beierlorzer selbst stets betont, das Team muss nach einem misslungenen Pressing schnell zu einer defensiven Kompaktheit zurückfinden, etwa wenn der Gegner sich spielerisch aus der Drucksituation befreit hat. Das klappte bei Ballverlusten oder verlorenen Zweikämpfen in den anspruchsvollen Tests gegen Villareal und Southampton nicht so gut und man fragt sich, wie die Mannschaft dieses Spielsystem gegen spielerisch stärkere Teams wie Bayern und Dortmund ohne Klatsche überleben möchte. Auch andere spielstarke Teams aus der zweiten Reihe, wie Leipzig, Gladbach, Hoffenheim oder Leverkusen könnten sich über die Kölner Strategie freuen, denn sie schafft Räume hinter der pressenden Kölner Reihe.
Anders als tiefstehende Gegner kann der FC von den spielstarken Teams auf diese Weise gelockt werden, um mit schnellen Kombinationen oder Anspielen in die dann vorhandene Tiefe ihrerseits mit viel Tempo in die Kölner Gefahrenzonen vorzudringen. Für eine Mannschaft, die diese Spielidee erst seit kurzem praktiziert, ist es mehr als ungünstig, dass die Saison gleich mit Spielen gegen diese spielstarken Gegner beginnt. Hier droht ein jähes Ende der sich gerade entwickelnden Euphorie, wenn sich BVB und Co für die üblicherweise nicht vorhandenen Räume bedanken.
Lange Kerle gegen lange Bälle
Gegen spielschwächere Teams, die häufiger auf den Langen Ball zurückgreifen werden, muss zudem unbedingt die Lufthoheit zurückerobert werden, die man in der zweiten Liga häufig verloren hatte. Dort fielen nicht wenige Gegentore durch einen langen Ball, der im Mittelfeld auf den abschließenden gegnerischen Stürmer verlängert wurde. Letztendlich muss Beierlorzer mit seiner aktiven aber eben auch offensiven Spielidee aufpassen, dass er nicht endet wie 2015 Alexander Zorniger beim VfB Stuttgart, der mit nahezu bedingungsloser Schwaben-Offensive die Liga erobern wollte, dann aber in den ersten fünf Spielen null Punkte einfuhr und nach 13 Spieltagen und nur zehn Punkten gehen musste. Stuttgart stieg trotzdem ab.
Auch ambitioniertere Teams haben mit ähnlichen Spielideen so ihre Probleme, wie man an den 52 Gegentoren von Bayer Leverkusen in der letzten Saison sehen kann – 20 mehr als der FC Bayern und die meisten der ersten acht Teams. Auch in der aktuellen Vorbereitung offenbart Leverkusen hier erhebliche Defizite und kassiert Gegentor um Gegentor, obwohl das Bosz-System dort nicht mehr neu ist. Nach Ballverlusten oder wirkungslosem Pressing zügig in eine defensive Kompaktheit zurückzufinden, fällt also schon anderen Kalibern schwer und Erfolg oder Misserfolg der Geißböcke wird sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob die Mannschaft die perfekte Abstimmung zwischen Attacke und Rückwärtsbewegung bzw. defensiver Geschlossenheit findet. Der FC-Fan sollte sich jedenfalls mental darauf vorbereiten, dass die Null nicht allzu oft stehen wird. Bei allem Lob für einen attraktiven, aktiven Fußball: Beierlorzer ist gut beraten, einen Plan B zu haben um seinen „aktiven“ Fußball von seinem Team flexibel interpretieren lassen zu können.
Hier gehts weiter mit „Teil II: Die Hoffnung der Fans“ (veröffentlicht am 14.08.2019).
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