Heute vor 30 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November, wurde die Berliner Mauer erstmals wieder geöffnet. An diesem historischen Donnerstagabend strömten Zehntausende Berliner zu dem Grenzbollwerk, das ihre Stadt über 28 Jahren geteilt hatte. Die einen, um den Traum von einem „Spaziergang im Westen“ wahr zu machen, die anderen, um jene Spaziergänger zu begrüßen. Dass sich die Berliner Mauer an diesem Abend tatsächlich auftat beruht allerdings auf einer Kommunikationspanne der SED-Führung.
Dem vorausgegangen waren Massenkundgebungen in der Wendezeit, die Forderung nach Reisefreiheit und die anhaltende Flucht großer Bevölkerungsteile der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in die Bundesrepublik Deutschland über das Ausland. DDR-Bürger flüchteten damals teils über Botschaften in verschiedenen Hauptstädten damaliger Ostblockstaaten (unter anderem Prag und Warschau) und über die in Ungarn bereits beim Paneuropäischen Picknick am 19. August 1989 und umfassend seit dem 11. September 1989 offene Grenze zu Österreich. Seit Anfang November dann auch direkt über die damalige Tschechoslowakei.
Reisegesetz für die DDR
Daher erhielt Oberst Gerhard Lauter, der Hauptabteilungsleiter für Pass- und Meldewesen im Innenministerium, die Aufgabe, ein neues Reisegesetz zu erarbeiten. Sein entsprechender Entwurf enthielt – nicht ganz auftragsgerecht – zusätzlich einen Passus zu „Privatreisen nach dem Ausland“. Das Gesetz, das eigentlich eine Ausreisemöglichkeit für einige wenige Unzufriedene bieten sollte brachte letztlich die DDR-Mauern in Gänze zum Fall.
Der Gesetzesentwurf wurde noch am 9. November vom Politbüro bestätigt und in Richtung Ministerrat weitergeleitet. Im weiteren Geschäftsgang wurde dazu eine Vorlage an den Ministerrat erstellt, die zwar noch am selben Tag bis 18 Uhr im Umlaufverfahren gebilligt, aber erst am 10. November um 4 Uhr morgens als Übergangsregelung über die staatliche Nachrichtenagentur ADN veröffentlicht werden sollte. Zwischenzeitlich hatte das Justizministerium der DDR Einspruch gegen den Gesetzesentwurf eingelegt.
Parallel zum Umlaufverfahren wurde die Ministerratsvorlage am Nachmittag des 9. November auch im Zentralkomitee behandelt und in leicht abgeänderter Form bestätigt. Die handschriftlich abgeänderte Ministerratsvorlage übergab SED-Generalsekretär Egon Krenz an SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, der als und Sekretär für Informationswesen fungierte und gerade zu der am frühen Abend angesetzten Pressekonferenz über die Ergebnisse der ZK-Tagung ging. Allerdings informierte Krens ihn dabei nicht explizit über die Inhalte und die beschlossene Sperrfrist bis 4 Uhr morgens.
Pressekonferenz mit Folgen
Und so nahm die Geschichte ihren Lauf. Die Pressekonferenz im Presseamt in der Ost-Berliner Mohrenstraße 38, auch Internationales Pressezentrum genannt, verfolgten viele Bürger live in Fernsehen und Radio. Anwesend waren auch zahlreiche Journalisten aus dem Ausland. Diese legendäre Pressekonferenz mit Schabowski sollte zum Auslöser für die Maueröffnung werden. Am Ende der Pressekonferenz um 18:53 Uhr stellte der Korrespondent der italienischen Agentur ANSA, Riccardo Ehrman, eine Frage zum Reisegesetz. Darauf antwortete Schabowski umständlich: „Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“
„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse, beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt (…)“
Günter Schabowski in der legendären PK vom 9. November 1989
Auf die Zwischenfrage eines Journalisten „Ab wann tritt das in Kraft? Ab sofort?“ antwortete Schabowski dann um 18:57 Uhr mit dem Verlesen des ihm von Krenz zuvor übergebenen Papiers: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse, beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt (…)“. Nach zweimaliger Zwischenfrage eines anderen Journalisten „Gilt das auch für Berlin-West?“ fand Schabowski schließlich den entsprechenden Passus der Vorlage: „Die ständige Ausreise kann über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu Berlin-West erfolgen.“
Die Mauer ist „offen“
Westdeutsche und West-Berliner Rundfunk- und Fernsehsender verbreiteten sogleich, die Mauer sei „offen“ (was zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Praxis umgesetzt war). Mehrere Tausend Ost-Berliner zogen zu den Grenzübergängen und verlangten die sofortige Öffnung. Zu diesem Zeitpunkt waren weder die Grenztruppen noch die für die eigentliche Abfertigung zuständigen Passkontrolleinheiten (PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit oder die sowjetische Armee in Berlin darüber informiert, was eine gewisse Gefahr eines – möglicherweise bewaffneten – Eingreifens bedeutete.
Um den großen Druck der Menschenmassen zu mindern, wurde am Grenzübergang Bornholmer Straße um 21:20 Uhr den ersten Ostdeutschen dort erlaubt, nach West-Berlin auszureisen. Dabei wurden die Ausreisenden kontrolliert und Personalausweise mancher als ungültig gestempelt, die Inhaber sollten damit ausgebürgert werden. Um 21:30 Uhr brachte auch der Radiosender RIAS erste Reportagen von offenen Grenzübergängen.
Hanns Joachim Friedrichs, der an diesem Tag die Tagesthemen moderierte, eröffnete die Sendung um 22:42 Uhr so: „Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten; sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren: dieser neunte November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.“
Westgang unter großem Jubel
Es sammelten sich nach und nach dichte Menschenmassen an allen Übergängen, teilweise wurde die Lage angespannt bzw. wirkte bedrohlich. Am Grenzübergang Bornholmer Straße befürchtete der diensthabende Leiter, dass Ausreisewillige auch an Waffen seiner Mitarbeiter kommen könnten, die diese bei sich trugen. Deshalb befahl Oberstleutnant Harald Jäger gegen 23:30 Uhr eigenmächtig, die Grenzübergangsstelle zu öffnen und die Passkontrollen einzustellen. Über diesen Grenzübergang gelangten zwischen 23:30 Uhr und 0:15 Uhr schätzungsweise 20.000 Menschen nach West-Berlin.
Die DDR-Bürger wurden von der Bevölkerung West-Berlins begeistert empfangen. Die meisten Kneipen in der Nähe der Mauer gaben spontan Freibier aus und auf dem Kurfürstendamm gab es einen großen Volksauflauf mit einem hupenden Autokorso und wildfremden Menschen, die sich in den Armen lagen. In der Euphorie dieser Nacht wurde die Mauer auch von vielen West-Berlinern erklommen. Noch in der Nacht ordnete Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper als Sofortmaßnahme die Schaffung zusätzlicher Aufnahmemöglichkeiten für Übersiedler sowie die Auszahlung des Begrüßungsgeldes über 100 D-Mark durch die Sparkasse West-Berlins an.
Bis Mitternacht waren dann alle Grenzübergänge im Berliner Stadtgebiet offen. Auch die Grenzübergänge an der West-Berliner Außengrenze sowie an der innerdeutschen Grenze wurden in dieser Nacht geöffnet. Bereits am späten Abend verfolgten viele die Öffnung der Grenzübergänge im Fernsehen und machten sich teilweise dann noch auf den Weg. Der große Ansturm setzte am Vormittag des 10. November 1989 ein, da viele DDR-Bürger die Grenzöffnung um Mitternacht schlicht „verschlafen“ hatten.
Die Berliner Mauer bestand vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989. Sie sollte die DDR hermetisch von West-Berlin abriegeln. Sie trennte jedoch nicht nur die Verbindungen im Gebiet Groß-Berlins zwischen dem Ostteil, der Hauptstadt der DDR, und dem Westteil der Stadt. Vielmehr umschloss die Mauer alle drei Sektoren des Westteils in Gänze und unterbrach damit auch deren Verbindung zum Berliner Umland, das im DDR-Bezirk Potsdam lag. Die Mauer war 3,60 Meter hoch und erstreckt sich über eeine Gesamtlänge von über 160 Kilometern; ihr Bau verschlang rund 400 Mio. DDR-Mark.
Für die DDR-Grenzsoldaten galt seit 1960 in Fällen des „ungesetzlichen Grenzübertritts“ der Schießbefehl, der erst 1982 formell in ein Gesetz gefasst wurde. Bei dem Versuch, die Grenzanlagen zu überwinden, wurden zwischen 136 und 245 Menschen getötet. Die genaue Zahl der Todesopfer an der Berliner Mauer ist nicht bekannt.
Einige der Mauersegmente finden sich heute an verschiedenen Orten der Welt. So sicherte sich der US-Geheimdienst CIA für seinen Neubau in Langley (Virginia) einige künstlerisch verzierte Mauersegmente. In den Vatikanischen Gärten wurden im August 1994 einige Mauersegmente mit der aufgemalten Sankt-Michaels-Kirche aufgestellt. Ein weiteres Teilstück der Mauer ist im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Auch am Deutschen Eck in Koblenz befinden sich drei Mauerstücke der Berliner Mauer. Ein Segment steht in der Königinstraße am Englischen Garten in München, weitere Mauerstücke stellt das Friedensmuseum im französischen Ort Caen in der Normandie und das Imperial War Museum in London aus.
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