Faszination Stummfilm im Bonner Sommerkino… Stummfilm? Bei diesem klassischsten aller Filmgenres kommen einem gemeinhin Stan Laurel und Oliver Hardy („Dick & Doof“), Charlie Chaplin oder Buster Keaton in den Sinn. Dass Stummfilm sehr viel mehr sein kann, zeigt das mittlerweile größte Stummfilmfestival Deutschlands, die Internationalen Stummfilmtage. Einmal im Jahr steht der ohnehin sehenswerte Arkadenhof der Universität Bonn ganz im Zeichen des Stummfilms. Auch in der 35. Auflage des Festivals flimmern vom 15. bis 25. August 2019 rund 20 Filme über die 144 m² große Leinwand. Weitere Beiträge sind im „Kulturzentrum Brotfabrik“ zu sehen.
Vielfältiges Filmangebot
Insgesamt lässt eine bunte Auswahl an Stummfilmen aus aller Welt den großzügigen Innenhof des ehemaligen kurfürstlichen Stadtschlosses erstrahlen, dessen namenstiftende Arkaden für eine tolle Freiluftkino-Atmosphäre sorgen. Neben zahlreichen Beiträge aus Deutschland und den USA finden sich in dem von Festivalbegründer Stefan Drößler kuratierten Programm auch Filme aus China, Frankreich, Schweden und der ehemaligen Sowjetunion. Die meist aufwendig restaurierten Filmperlen stammen überwiegend aus den 1920er Jahren. Eine Ausnahme bilden die Auftaktfilme „Madame in Nöten“ und „Emanzipation der Frauen“. Beide Kurzfilme sind über 110 Jahre alt und wurden 1906 von der französischen Filmemacherin Alice Guy gedreht.
Mit der Auswahl der Eröffnungsfilme deuten die Festivalmacher auch gleich einen Schwerpunkt der diesjährigen Stummfilmtage an: Filme von, mit und über Frauen. Neben den Werken von Alice Guy zählt dazu auch der am selben Abend gezeigte Film von John S. Robertson „Gleiche Moral“ aus dem Jahr 1929. Darin spielt Greta Garbo eine moderne, emanzipierte Frau mit einem großen Drang nach Unabhängigkeit. Und in „Der rote Kimono“ von 1925 portraitiert Dorothy Davenport den sozialen Abstieg einer Frau, der sie schließlich in die Prostitution zu treiben droht.
Restaurierte Filmperlen und Klassiker
Daneben kommen aber auch die Klassiker nicht zu kurz. Mit „Kavaliere für 24 Stunden“ sind Laurel und Hardy in ihrem ersten gemeinsamen Film zu sehen. In der Komödie von 1927 versuchen sich die beiden Stummfilmstars als Sträflinge aus der Haftanstalt zu buddeln, Chaos vorprogrammiert. Und auch Buster Keaton bekommt seine Bühne mit dem 1922 gedrehten Film „Das Bleichgesicht“. Als kleiner Häuptling Bleichgesicht vertritt er darin die Interessen eines Indianerstamms, der sich gegen besitzergreifende Ölfirmen zur Wehr setzen muss. Ein echtes Highlight nicht nur für Keaton-Fans.
Dass fast 100 Jahre alte (Stumm)Filme zuweilen auch unfreiwillig komisch sind, belegt der erstmals vollständig restauriert aufgeführte Lehrfilm „Gefahren der Grossstadt-Strasse“. Der „Filmschriftsteller“ Toni Attenberger hat diesen sehenswerten Lehrfilm 1924 in Zusammenarbeit mit der Münchener Polizei gedreht. In insgesamt sechs Kapiteln zeigt der Film auf, welche Bedrohungen in der Großstadt lauern und wie man diesen am besten vorbeugt. Dabei ist gerade die Kombination aus Zwischentext und Filmmaterial zum Brüllen komisch.
Verkehrserziehung aus den 1920er Jahren
Der Film beginnt mit den „Unarten“ auf öffentlichen Gehwegen („Gefährliches Biegen um Ecken“) und Straßen („Gefährliches Nehmen von Linkskurven“), um schließlich bei Kapitalverbrechen wie Mord und Prostitution zu enden. Letztere galt damals als schlimmstes aller Delikte. Auf dem Weg dorthin lernen die rund 1.500 Zuschauer im Arkadenhof weitere illustre Gestalten wie den „Zopfabschneider“ und den „Leichenfledderer“ kennen. Auch vor Bettlern und Dieben warnt der Film und wartet abermals mit herrlichen Typisierungen wie den „Notbettler“, den „Gewohnheitsbettler“ und den „betrügerischen Bettler“ auf. Für große Heiterkeit sorgte schließlich der „galante Dieb“, der es vornehmlich auf die „ältere, unternehmungslustige Frau“ abgesehen habe. Ganz zu schweigen von den Gaunern, die der „spät aus der Arbeit heimkehrende Frau“ nachstellen.
Die dazugehörigen, meist etwas ruckelig wirkenden Bewegtbilder haben heute großes Slapstick-Potenzial. Das begeisterte Publikum honorierte dieses mit herzhaften Lachattacken. Trotz aller (ungewollter) Komik liefert der Film aber zugleich ein wunderbares Zeugnis seiner Zeit. Wie Kurator Stefan Drößler in seiner Einleitung sagte, waren die Dreharbeiten in München, an denen neben der Polizei auch viele Bürger als Statisten mitwirkten, ein großes Ereignis. Der Film war damals vor allem in München, aber auch in Berlin ein voller Erfolg. Aber auch ein Jahrhundert später vermag das Lehrstück noch immer zu begeistern.
Musikalische Live-Begleitung
Die – wie bei allen Festivalbeiträgen – live gespielte Filmmusik von Stephen Horne (Klavier) und Frank Bockius (Percussion) trägt zu dieser Begeisterung maßgeblich bei. Dank der sehr pointierten Musikbegleitung vergisst man schnell, dass der Film selbst keinen Ton von sich gibt. Mit diesem tollen Mix aus Ambiente, Filmkunst und Live-Musik bieten die 35. Internationalen Stummfilmtage ihrem Publikum ein rundum gelungenes Erlebnis – und das sogar bei freiem Eintritt. Auch wenn die Filme selbst stumm bleiben spricht also alles dafür, diesem Festival einen Besuch abzustatten.
Die Internationalen Stummfilmtage werden vom Förderverein Filmkultur Bonn e.V. organisiert. Unterstützend tätig sind das Filmmuseum München, die Bonner Kinemathek, das Rheinische Landesmuseum Bonn und das Filmpodium Zürich. Seit 2009 ist auch die Universität Bonn offizieller Unterstützer.
Der Veranstaltungszeitraum beträgt seit Jahren jeweils elf Tage im August. Üblicherweise werden bei freiem Eintritt pro Abend entweder ein längerer Film, ein mittellanger Hauptfilm mit kurzem Vorfilm oder zwei kürzere Filme gezeigt. An einigen Tagen des Festivals finden als Begleitprogramm ergänzende Vorträge zum technischen oder historischen Hintergrund der gezeigten Werke statt.
Das Festivalprogramm ist auf der Webseite des Fördervereins Filmkultur Bonn e.V. abrufbar: https://www.foerderverein-filmkultur.de/
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