Manchmal ertappe ich mich beim Einkaufen dabei, einen kurzen Blick in fremder Leute Einkaufswagen zu werfen. Vielleicht kennt ihr das ja sogar selbst. Was genau mich dazu motiviert, weiß ich ehrlich gesagt selber nicht. Ist es reine Neugier – frei nach dem Motto, kauft der was, das ich nicht habe – oder schlicht ein Anflug von Lebensmittel-Voyeurismus? Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer. Doch kommt es vor, dass ich sogar länger über das Gesehene nachdenken muss. Wie zum Beispiel über das Geheimnis der „Cashew-Lady“.
Die Cashew-Lady ist eine leicht verschroben, aber nicht minder sympathisch wirkende ältere Dame, mit grau meliertem Haar und einem etwas müde wirkenden Blick. Ich bin ihr in den letzten Wochen mehrfach im Discounter meiner Wahl – oder anders gesagt, dem Discounter direkt ums Eck – begegnet. Das erste Mal fiel sie mir auf, weil ihr Einkaufswagen mit schätzungsweise 40 bis 50 Packungen Cashewkerne beladen war, die sie mit routinierter Gelassenheit aufs Band lud. Außer den kleinen Eiweißbomben kaufte sie nichts. Also fragte ich mich, was jemand mit rund zehn Kilo Cashews macht, zumal man die kleinen Scheißer im Vergleich zur profanen Erdnuss fast schon hochpreisig nennen darf.
Gibt es eine Cashew-Diät?
Mein erster Gedanke war: Eiweißdiät. Ich kenne mich mit Diäten zwar nicht aus, aber vielleicht ist die Cashewkern-Diät gerade groß im Kommen? Dann dachte ich an die Preppi-Bewegung, über die ich vor einiger Zeit eine Radioreportage gehört hatte. Darin ging es um Leute, die sich riesige Vorräte in Schutzräume und Bunker packen, um so potenziellen Katastrophen zu trotzen. Es würde mich nicht wundern, wenn eiweißhaltige Nüsse in diesen Kreisen hoch im Kurs sind. Mein abwegigstes Hirngespinst war, dass die Dame eine Perserkatze mit einer Vorliebe für Cashews zuhause hat. Immerhin bestand eine gewisse Ähnlichkeit mit anderen älteren Damen, die für ihren Stubentiger gern mal Hamsterkäufe tätigen, allerdings meist mit richtigem Katzenfutter.
Kurz nach Verlassen des Ladens war mein Kopfkino ebenso schnell verflogen, wie es gekommen ist. Allerdings nur für gut eine Woche, dann sah ich die Cashew-Lady wieder. Abermals hatte sie zu meinem Erstaunen eine beachtliche Menge Cashewkerne in ihren Einkaufswagen geladen. Und es versteht sich fast von selbst, dass es ausschließlich diese Nüsse waren, die den Wagen füllten. Wieder kamen die alten Gedankenspiele hoch. Wie kann es sein, dass jemand binnen einer Woche kiloweise Cashews vertilgt? Letztlich fand ich mich damit ab, den Grund der vermeintlichen Völlerei wohl nie zu erfahren.
Wiedersehen mit der Cashew-Lady
Bis heute. Gute zwei Wochen sind seit meiner letzten Begegnung mit der kernigen Dame vergangen. Auf meinem wöchentlichen Gang durch den Discounter lenkte mich zunächst nichts von meiner Einkaufsroutine ab, außer einem kleinen Mädchen, das im Einkaufswagen sitzend alle vorbeigehenden Kunden mit „Hallo, alter Kack-Mann“ begrüßte. Ein echter Klassiker! Doch als ich auf dem Weg zur Kasse das Sortiment an Nüssen erblickte, musste ich unweigerlich an die Cashew-Lady denken. Und siehe da, die Cashews waren sogar im Sonderangebot. Jetzt sah ich die gute Frau vor meinem geistigen Auge schon um die Ecke biegen, mit einem zum Bersten gefühlten Einkaufswagen voller Cashews. Und ich sollte (fast) recht behalten.
Glaubt es oder nicht, auf dem Discounter-Parkplatz sah ich tatsächlich die Cashew-Lady ihren Einkaufswagen zum Auto schieben, satt gefüllt, mit … Rucola!?! Keine einzige Nuss im Wagen, sondern ausschließlich der wie Löwenzahn-Blätter aussehende Blattsalat. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Waren ihr die Cashews jetzt zu billig? Eher nicht, immerhin war der Rucola auch im Angebot. Hat sie – oder ihre Katze – die Diät geändert? Kann schon sein, ich kenne mich damit ja nicht aus. Wahrscheinlich wird es mir immer ein Rätsel bleiben. Aber ob nun Cashews oder Rucola: Am Ende des Tages gilt einmal mehr die Devise, viel hilft viel.
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